Wie fühlt sich nochmal Leichtigkeit an? Die Olympischen Spiele in Paris weisen auch mit ihrem neuen Symbol für die vereinende Feuerschale weit über die Welt des Sports hinaus. Sie laden ein, gemeinsam an der Welt zu träumen und Visionen zu entwickeln.
7. August 2024. Auch heute, wie an jedem Abend während der Olympischen Spiele in Paris, sind so viele Menschen zusammengekommen, um den Moment zu erleben, an dem die neue Form der olympischen Feuerschale sich erhebt, die Montgolfière. Ist Feeling Paris durch alle Kulturen spürbar: Das einzigartige Gefühl dieser Stadt, aus dem heraus dieser Blog entstanden ist.
Montgolfière, was ist das? Das fragte mich neulich ein deutscher Freund, während wir die Übertragung der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2024 verfolgten. Ich erzählte ihm, dass es das erste war, was mir in der französischen Grundschule auf einem Arbeitsblatt ausgehändigt wurde. Ein Heißluftballon, erfunden von den Brüdern Joseph-Michel und Jacques-Etienne Montgolfier, der im Jahr 1783 den ersten menschlichen Flug ermöglichte. Sechs Jahre vor der Französischen Revolution. Meine Klassenlehrerin hatte ihn selbst gezeichnet. Wir sollten ihn ausmalen und in unser Heft hineinkleben. Und ich liebte ab da bis heute Montgolfières.
Ich liebe auch Spezialworte. Montgolfière ist eines. In Frankreich weiß man, was es bezeichnet. In anderen Kulturen eher dann, wenn man sich damit beschäftigt. Aus reiner Lust, es aufleben zu lassen, platzierte ich es mal in einer meiner Kurzgeschichten. Es fand sich auf den Boxershorts einer Figur wieder. Diese Boxershorts stellte ich mir wiederum vor wie die schöne Tapete des italienischen Designers Fornasetti: Mit imaginären Flugobjekten im Geiste des Schriftstellers Jules Verne, die eine kleine Wohnung von mir in Düsseldorf zieren, die ich vermiete. Diese Tapete hat eine Magie. Vielleicht mieten sich deswegen oft Künstlerinnen und Künstler dort ein.
Anders als das erste Exemplar, das von den Brüdern Montgolfier entworfen wurde, taumelt dieses Flugobjekt des Designers Mathieu Lehanneur, der auch die olympische Fackel entworfen hat, unverziert und lebendig vor uns. Vom Wind sanft hin und her getrieben, wirkt es leicht trunken, wie die aufgeregten Menschen hier, und wartet auf das große Abheben. Ein Fesselballon.
Wie soll das eigentlich gehen? Ballon: Leichtigkeit, Fliegen, Freiheit. Fessel: Bleib, wo du bist. Träumen statt erleben. Ein »wir könnten« statt »wir tun«. Es ist ein Bild für einen Traum. Und, banal und wahr, ein Traum von einem Bild. Manchmal reicht ein solches Bild, um auf andere Gedanken zu kommen. Einen Moment in eine andere Wirklichkeit zu fliehen.
Vor mir blickt ein Mädchen auf den Schultern ihres Vaters gebannt auf das Flugobjekt. Wir alle warten in Vorfreude. Alleine das: Dass ich das Wort »wir« schreiben kann und nicht den engsten Freundeskreis meine. Vergessen die Sorgen, die Warnungen, die Aufregung der letzten beiden Monate, als ganz Frankreich vor einer politischen Wahl stand, die es nicht vorbereitet war zu treffen. Und jetzt, in Erwartung, im sanft schwingenden Ballon, der das olympische Feuer versinnbildlicht, blicken Tausende von Menschen auf dieses leere Gefäß. Bloß, um es voll Luft aufsteigen zu sehen. Doch diese Luft tut gut. Sie kann mit allen Träumen dieser Welt gefüllt werden. Und mit ihnen abheben. Nicht sehr hoch, aber immerhin nach oben.
Frankreich bietet mit diesem Symbol der Schwerelosigkeit eine luftige Gegenvision zu den Dramen, von denen wir täglich hören. Botox auf die Sorgenfalten. Ein Bild, in dem wir uns gemeinsam wiederfinden können, wie wir auch und vor allem sind, wonach wir uns sehnen. Von den Konflikten in der Welt, die nicht unbedingt unsere ureigenen sind, in einer Vision von aufsteigender Leichtigkeit erlöst zu werden. Selbst, wenn das Feuer eine Illusion ist.
Was zu brennen scheint, ist ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von Wasserdampf und Elektrizität. Vierzig LED-Projektoren an einem Ring von rund sieben Metern Durchmesser strahlen eine Wolke an, die von 200 Wasserdüsen unter Hochdruck erzeugt wird. Noch in 60 Metern Höhe funktioniert diese von den französischen Elektrizitätswerken EDF erdachte historische Premiere. Mit einer fliegenden Feuerschale wollten wir den Geist der Kühnheit, der Kreativität, der Innovation – und manchmal auch der Verrücktheit! – Frankreichs würdigen, das im Herzen der DNA von Paris 2024 steht. So erklärt es Tony Estanguet, der Vorsitzende des Organisationskomitees der Olympischen Spiele in Paris 2024.
Doch wollen wir das wissen, den Traum dekonstruieren? Nein. Vor allem jetzt nicht. Wir müssen gerade auch nicht wissen, dass die olympische Flamme in einer nur etwa 20 cm hohen, weiterentwickelten und den heutigen Sicherheitsanforderungen entsprechenden Version einer Bergwerklampe in der Nähe des neuen Symbols flackert. Regelmäßig gespeist von 50 Millilitern flüssigem Paraffin. Alle zwei Wochen wird der Docht ausgetauscht. Und dass diese kleine Lampe Ende des 19. Jahrhunderts während der industriellen Revolution im Norden Frankreichs ersonnen wurde, um den Minenarbeitern zu leuchten und sie vor Unfällen zu schützen. Ah ja. Doch nett, das zu erfahren.
Aber jetzt steigt gerade der Ballon mit Fesseln endlich gen Himmel. Um mich herum jubelt und klatscht, lacht und pfeift es freudig. Und wird bald ruhiger. Die Menschen sind damit beschäftigt, hinzuschauen. Oder dieses Ereignis mit gezückten Handys für den Rest der Welt festzuhalten. Manche bieten ihren Lieben einen Livestream.
Das ist … das ist … irgendwie meditativ, sagt eine junge Frau neben mir. Je suis magnétisée, kommentiert ihre Freundin mit offenem Mund, also ganz in den Bann gezogen.
Es ist nicht nur der Ballon, der sich erhebt. Es ist ein buntes Volk, das sich gerade gebildet hat. Das Volk ohne Grenzen, das von überall her kommt und träumen will. Das in diesem Augenblick mitten in Paris erlebt, wie man einfach so miteinander sein kann. Gerade ist. Freudig verbunden. Die Bilder, die in die Welt hinausgeschickt werden, können es nicht vermitteln. Man spürt es, wenn man dabei ist.
Ich blicke auf die schwebende Montgolfière, auf die leuchtenden Gesichter. Von diesem Feuer ohne Brand strahlt etwas aus, das ganz woanders hinweist als in die verwirrende Welt, in der wir glauben zu stehen. Man müsste nur den Blick verschieben. Zu etwas Sanfterem verführt werden. Ist es nicht das, was unter Tausenden von Augen gerade geschieht?